Rolf Schaeren ist Professor an der Fachhochschule der Nordwestschweiz (FHNW) und stellvertretender Direktor der Hochschule für Wirtschaft in Brugg (AG). Der promovierte Ökonom hat dort Ende der 1990er Jahre die Mediationsausbildung eingeführt und konzipiert. Seit 1998 haben mehr als 500 Personen diese Ausbildung erfolgreich durchlaufen. Derzeit läuft der 23. Kurs. Schaeren ist zudem Mitglied des Stadtrates von Dietikon (ZH), wo er das Amt des Finanzvorstands bekleidet. Im Interview erläutert Schaeren den Stand der Mediatonsausbildung in der Schweiz.
MFS: Den Anfang machte die FHNW, mittlerweile gibt es für die Mediationsausbildung eine Reihe von Ausbildungsgängen in der ganzen Schweiz. Wie unterscheiden sich diese?
Rolf Schaeren: Das Angebot an Mediationsausbildungen ist geradezu unübersichtlich geworden. Der Dachverband führt auf seiner Homepage 18 anerkannte Institutionen auf, die eine Mediationsausbildung anbieten. Unterschiede zeigen sich in folgenden Bereichen:
· Grundkonzept: Modularer oder integraler Aufbau
· Schwerpunkte: Wirtschaft, Umwelt, Verwaltung, Familie
· Dauer
· Zertifizierungsanforderungen
· Preis
· Referenten
· Methodisches Konzept.
Aus meiner Sicht der wichtigste Unterschied liegt aber bei den Referentinnen und Referenten, die zum Einsatz kommen. Die Grundqualifikation bringen alle mit. Unterschiede bestehen in der praktischen Mediationserfahrung und der praktischen Erfahrung in der Referentenrolle.
Jede Institution hat ihre eigenen Schwerpunkte. Welchen pflegt die FHNW? Wo liegen sie bei den anderen? Und wo jeweils die Stärken und Schwächen des Angebots?
Die Schwerpunkte unserer Ausbildung liegen in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Verwaltung. Nicht behandelt wird das Thema Familienmediation, dazu bieten wir aber ein Weiterbildung an für ausgebildete Mediatorinnen und Mediatoren. Die Herangehensweise an den Komplex "Konflikt" erfolgt weniger von der soziologischen Seite her, sondern von den Aspekten der Kommunikation und basierend auf einem systemischen Ansatz. Unser Ausbildungskonzept nenne ich integral. Das heisst, die Kursgruppe bleibt von Anfang bis zum Schluss zusammen und erlebt alle Bausteine gemeinsam. Es ist also kein modulares Konzept, bei dem man sich in der Vertiefungsphase für bestimmte Themen entscheidet und andere weglässt. Ich sage es etwas pointiert: Es gibt Ausbildungen, nach denen Sie alles über Mediation wissen, es aber nicht können. Nach unserer Ausbildung können Sie garantiert mediieren, aber vielleicht wissen Sie nicht alles über Mediation.
In einzelnen Jahren war zuletzt die die Zahl der Neuanmeldungen rückläufig. Ist der Boom am Ende?
Das Interesse an Mediation ist ungebrochen. Doch das Motiv für eine Ausbildung ist heute eher das Verständnis und der Wunsch, die Techniken der Mediation im Berufs- und Lebensalltag zu integrieren. Durch die grosse Zahl verschiedener Anbieter von Mediationsausbildungen erreichen viele nicht die kritische Menge für die Durchführung der Kurse. Ausgeweitet hat sich auch das Angebot an Weiterbildungskursen und Seminaren und gleichzeitig sind die Unternehmen aufgrund der Finanzkrise zurückhaltender geworden in der Finanzierung von Weiterbildungen ihrer Mitarbeitenden.
Für die Abschlussarbeit benötigten die Teilnehmer oftmals konkrete Fälle, die sie bearbeiten und beschreiben können. Wie kommen sie an solche Fälle?
Die Fälle werden von den Absolventinnen und Absolventen individuell gesucht. Es gehört zu den Kompetenzen von Mediatorinnen und Mediatoren Fälle akquirieren zu können, was in der Ausbildung und der Supervision thematisiert wird. Wir empfehlen auch, Fälle in Co-Mediation zu bearbeiten. Das hat eine Reihe von Vorteilen, letztlich auch, dass es für eine Kursgruppe weniger Fälle braucht. Es gibt immer auch Teilnehmer, die das Zertifikat gar nicht anstreben. Unser Konzept war schon immer, dass die Fälle innert einer Frist von zwei Jahren nach Kursende noch eingereicht werden können. Von dieser Möglichkeit machen in jedem Kurs einzelne Teilnehmende Gebrauch, so dass die Abschlussquote bei uns recht hoch ist.
Bei Studienbeginn hegen viele Teilnehmer noch den Wunsch, das Gelernte später auch einmal beruflich anwenden zu können. Doch das gelingt später nur einem Teil. Weshalb?
Ich bin nicht so sicher, ob diese Aussage zutrifft. Wer die Vorstellung hat, sich nach der Ausbildung mit Mediation den Lebensunterhalt zu verdienen oder dazu substanziell beizutragen, wird enttäuscht werden. Das mache ich allen Interessentinnen und Interessenten bereits in meinen Informationsveranstaltungen klar.
Wer aber in seiner beruflichen Tätigkeit eine Führungsaufgabe hat, mit vielen Menschen zu tun hat, wer oft Verhandlungen führen muss oder bei Verhandlungen dabei ist, wer Teil von anspruchsvollen Projekten ist oder solche Projekte leitet, der kann das Gelernte vom ersten Ausbildungstag an in der beruflichen Tätigkeit anwenden. Diese Möglichkeit ist nicht nur bei Managementfunktionen gegeben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Kurse haben ihren beruflichen Hintergrund oft auch im Schulbereich, dem Gesundheitswesen oder in Nonprofit-Organisationen.
In der Justiz und der Rechtspflege sind die Bedenken gegenüber der Mediation nach wie vor gross. Welche Rolle spielen dabei das Konkurrenzdenken der Juristen und die Kosten der Mediation?
Die Kosten der Mediation können nicht wirklich der Grund sein, eher dass sich die Konfliktparteien über die Höhe der Kosten ihres Konfliktes oder eines Gerichtsverfahrens nicht bewusst sind. Der entscheidende Effekt einer Mediationsausbildung liegt nicht im Erlernen von Techniken, sondern im Bewusstwerden der eigenen Haltung und der Entwicklung der eigenen Haltung. Wenn mir Richter erklären, es sei schon immer ihre Aufgabe und ihr Anliegen gewesen, zwischen den Parteien zu vermitteln und einen Vergleich anzustreben, so ist das ja nicht falsch. Dass die Stellung des Richters als zum Entscheid bemächtigte Instanz eine völlig andere ist, als die einer Mediatorin ohne Entscheidungsbefugnis, und dass schon allein dieser Umstand die Dynamik des Prozesses dramatisch verändert, dies ist noch nicht allen Personen wirklich klar geworden, die in der Justiz tätig sind. Es ist aber sehr ermutigend und stimmt erwartungsfroh, dass seit Jahren viele Juristinnen und Juristen die Mediationsausbildung machen und Mediation auch an den juristischen Fakultäten zum Thema wird.
Hat die neue ZPO die Bedingungen für die Mediationstätigkeit schon nachhaltig verändert? Welchen Ausblick kann man geben?
Ja. Immerhin sind nun gesetzliche Grundlagen geschaffen für die Mediation. Es wird wohl trotzdem noch viel Zeit brauchen, bis die Mediation im Rechtsverfahren die praktische Verbreitung erlangt, die wünschenswert wäre.
Trotz Vereinheitlichung der regeln durch die ZPO gibt es nach wie vor grosse kantonale Unterschiede bei der Zulassung. Wie könnte man diese überwinden?
Das ist natürlich eine Besonderheit unseres föderalistischen Staates. Der Preis ist, dass es Zeit braucht, bis sich das Gute durchsetzt. Ich meine, wir könnten eine Beschleunigung erreichen, wenn wir nicht einfach warten würden, bis "die Justiz es einsieht", sondern selber noch aktiver wären über unsere Verbände. So schätze ich das Engagement des Dachverbandes in der Öffentlichkeitsarbeit sehr, da sind wir auf einem guten Weg.
Interview: David Strohm