Richter sehen Mediation als Konkurrenz

28.01.2013

Zwei Personen, die auf einen Laptop gucken

Statt sich vor Gericht zu streiten, können Privatpersonen vor dem Richter auch eine Mediation beantragen. Doch bislang machen nur wenige von dieser Möglichkeit Gebrauch. Auch weil die Gerichte sie kaum empfehlen.

Von Andrea Fischer

Gross waren die Hoffnungen bei den Mediatorinnen und Mediatoren, als 2011 die neue Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft trat. Denn mit der ZPO wurde der Versöhnungsversuch vor dem Gang ans Gericht zur Pflicht. Dabei können Privatpersonen, die miteinander im Rechtsstreit liegen, frei zwischen einer staatlichen Schlichtung und einer privaten Mediation wählen. Auch während eines Gerichtsverfahrens haben die Parteien die Möglichkeit, jederzeit eine Mediation zu beantragen (siehe Box). Damit dürfte die Nachfrage nach Mediatoren «signifikant steigen», schrieb der schweizerische Dachverband Mediation Anfang 2011 in einer Medienmitteilung.

Heute, zwei Jahre später, macht sich Ernüchterung breit. Die Zahl professioneller Vermittler ist zwar weiter deutlich gewachsen, «aber die Nachfrage nach Mediationen hat sich nicht wirklich verändert», sagt der Berner Rechtsanwalt Martin Zwahlen, Geschäftsführer des Dachverbandes Mediation.

Die Angst der Richter

Für die mangelnde Nachfrage gibt es verschiedene Gründe. Zum einen sind es organisatorische Hindernisse. So müssen die Konfliktparteien, wenn sie sich für eine Mediation anstelle der staatlichen Schlichtung entscheiden, dies im Schlichtungsverfahren beantragen und selber organisieren. Da scheint es vielen einfacher, es zuerst einmal mit dem Gang vor den Friedensrichter zu probieren, zumal dieser auf eine Stunde beschränkt ist, während eine Mediation meist aus mehreren Sitzungen besteht.

Zum andern sind die neuen Möglichkeiten noch wenig bekannt. Viele, die nach einem gescheiterten Schlichtungsversuch vor Gericht ziehen und dann feststellen, dass sie auf diesem Weg nicht weiterkommen, wüssten gar nicht, dass sie das Gerichtsverfahren jederzeit unterbrechen und eine Mediation beantragen könnten, sagt Martin Zwahlen vom Mediationsverband. «Wir haben erwartet, dass die Richter vermehrt Mediationen empfehlen würden, so wie es in der Zivilprozessordnung vorgesehen ist.» Das sei aber bislang wenig der Fall, stellt Zwahlen fest.

Der Grund: «Die Richter befürchten, dass ihnen die Fälle abhandenkommen, wenn sie die Parteien auf die Mediation hinweisen», sagt Zwahlen. Tatsächlich hat die Zahl der Gerichtsfälle seit der Einführung der ZPO abgenommen. Seit es Pflicht ist, zuerst einen Versöhnungsversuch zu unternehmen, konnten viele Zivilverfahren bereits vor dem Friedensrichter erledigt werden und gelangen gar nicht mehr ans Gericht.

Dass es Richter gibt, die das mediative Verfahren als Konkurrenz wahrnähmen und daher nicht interessiert seien, es aktiv zu fördern, stellt auch Urs Gloor, Rechtsanwalt, Mediator und Bezirksrichter in Zürich fest. Es reiche aber nicht, die Mediation gesetzlich zu verankern, denn die Konfliktparteien würden sich nicht einfach von selbst vermehrt für eine Mediation entscheiden, so Gloor: «Es braucht einen zusätzlichen Anstoss, entweder durch das Gericht oder die Schlichtungsbehörde.»

Aktive Vermittlung

Um herauszufinden, wie die Gerichte dazu zu bringen sind, dass sie die Mediation auch empfehlen, haben sich Mediatorenverbände, Anwälte und Richter im Raum Basel schon vor der Einführung der ZPO zusammengesetzt. «Ziel war es, den Gerichten Hilfestellungen zu bieten und die Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren zu garantieren», sagt Rechtsanwalt und Mediator Daniel Bäumlin.

Entstanden ist daraus die Anlaufstelle Mediationsvermittlung Region Basel. Die Schlichtungsbehörden und Gerichte der Region weisen in ihren Vorladungen und Verfügungen explizit auf die Möglichkeit einer Mediation hin und geben den Parteien die Adresse der Vermittlungsstelle an. Dort bekommen Interessierte die nötigen Informationen sowie Unterstützung beim Organisieren einer Mediation. Das Projekt sei schweizweit bislang einzigartig, sagt Bäumlin.

Etabliert im Familienrecht

Gemäss dem Zürcher Bezirksrichter Urs Gloor gibt es in fast allen Bereichen Ausbaupotenzial für Mediationsverfahren. So etwa bei Erbschafts- und Nachbarschaftskonflikten, die sich manchmal über Jahre hinzögen und gerichtlich oft nicht befriedigend zu lösen seien.

Etabliert hat sich die Mediation dagegen in familienrechtlichen Auseinandersetzungen, vor allem wenn es um Fragen des Sorgerechts geht. Da kämen die Richter laut Gloor mit ihren Möglichkeiten an den Anschlag, weshalb sie immer öfter den Eltern eine Mediation empfählen oder sogar anordneten.

 

Mediation im Vergleich zum Gerichtsverfahren

Die Vorteile des privaten Konfliktlösungsverfahrens

Von Andrea Fischer
In der Mediation gibt es viel mehr Lösungsmöglichkeiten als vor Gericht.

In einer Mediation versuchen die Konfliktparteien, durch Unterstützung einer Drittperson eine einvernehmliche Lösung zu finden. Im Vergleich zum Gerichtsverfahren präsentiert sich die Mediation wie folgt: ¬ Eignung: Von Vorteil ist eine Mediation vor allem, wenn die Konfliktparteien nach einem Entscheid weiter miteinander umgehen müssen – wie etwa bei Familienstreitigkeiten, bei Erbschafts- oder Nachbarschaftskonflikten. Ein Gerichtsverfahren, bei dem die eine Partei gegenüber der andern unterliegt, erschwert die künftige Verständigung.

  • Voraussetzungen: Die Mediation basiert auf Freiwilligkeit; sie verlangt die Bereitschaft beider Seiten, miteinander zu reden. Weigert sich eine Partei, so ist eine Mediation nicht möglich. Vor Gericht kann sich die beklagte Partei dem Verfahren nicht verweigern
  • Verlauf: Der Ablauf eines gerichtlichen Verfahrens ist klar vorgegeben und von den Parteien nicht zu beeinflussen. Bei der Mediation legen die Parteien den Ablauf und das Vorgehen selber fest.
  • Lösungsmöglichkeiten: Ein Gericht ist bei seinem Entscheid an das Gesetz gebunden, entsprechend beschränkt sind die Lösungsvarianten. Das mediative Verfahren bietet dagegen viel mehr Möglichkeiten, und die Entscheide liegen in der Macht der Parteien selbst.
  • Ausgang: Das Prozessrisiko wird oft unterschätzt. Auch ein vermeintlich klarer Fall kann vor Gericht ganz anders herauskommen und für die eine Seite mit dem Totalverlust enden. Eine erfolgreiche Mediation berücksichtigt jedoch die Bedürfnisse und Interessen beider Parteien.
  • Dauer: Wer vor Gericht zieht, muss damit rechnen, dass es Jahre dauert, bis ein endgültiges Urteil vorliegt. Während dieser Zeit dauert der Konflikt weiter an. Bei der Mediation bestimmen die Parteien selbst die Dauer des Verfahrens.
  • ¬ Kosten: Eine Mediation kommt viel günstiger zu stehen, auch müssen sich beide Seiten an den Kosten beteiligen.

 

Mediation im Zivilverfahren - Die rechtlichen Regeln

Wollen die Parteien in einem Zivilrechtsverfahren anstelle eines staatlichen Schlichtungsversuchs eine Mediation durchführen, können sie dies vor der Schlichtungsbehörde beantragen. Sie müssen die Mediation aber selber organisieren. Scheitert sie, stellt die Schlichtungsbehörde die Klagebewilligung aus, damit können die Parteien ans Gericht. Auch während eines laufenden Gerichtsverfahrens kann man jederzeit eine Mediation beantragen und das Verfahren sistieren. Das Gericht kann zudem selber eine Mediation empfehlen. Ist sie nicht erfolgreich, wird das Gerichtsverfahren wieder aufgenommen; die Aussagen der Parteien in der Mediation dürfen vor Gericht nicht verwendet werden. Einigen sich die Parteien durch Mediation, können sie das Ergebnis vom Gericht genehmigen lassen, was die gleiche Wirkung hat wie ein rechtskräftiges Urteil. (afi)


Dieser Artikel erschien im Tages-Anzeiger, Zürich, am 28.1.2013.